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3. Lucius Burckhardt Convention 2023 (English)

Samstag, den 17. Juni 2023 von 9-22 Uhr
Kunsthochschule Kassel, Hörsaal, Menzelstr. 13-15, 34121 Kassel

Am Samstag, den 17. Juni 2023 findet in der Kunsthochschule Kassel die 3. Lucius Burckhardt-Convention statt, ein eintägiges Symposium zu Leben und Werk von Annemarie & Lucius Burckhardt, den Erfindern der Spaziergangswissenschaft.

Von 1973 bis 1997 war Burckhardt als Professor im Fachbereich Architektur, Stadtplanung und Landschaftsplanung an der Universität Kassel tätig. Seine Arbeit begleitet seit den 1950er Jahren kritisch die Gestaltung der Umwelt, ob Architektur, Design, Stadtplanung oder Landschaftsplanung und ist über seinen Tod 2003 hinaus bis heute aktuell. Mangels eines besseren Begriffes könnten wir eine solche Forschung auch Kunst nennen, ließ er einmal wissen.

Die 3. Lucius Burckhardt-Convention wird von Prof. Martin Schmitz und Studierenden im Fachbereich Produktdesign an der Kunsthochschule Kassel veranstaltet. Seit der 2. Convention 2017 ist erstaunlich viel zu Annemarie & Lucius Burckhardt geforscht und veröffentlicht worden.

Samstag, den 17. Juni 2023

9:00 Markus Ritter / Martin Schmitz
Gerade noch gutgegangen

Begrüßung und ein Blick auf fünf Jahrzehnte Planungskritik.

10:00 Jürg Grassl
Von der Davoser Promenade zur Promenadologie

Die Jugendjahre verbrachte Lucius Burckhardt an der Wirkstätte seines Vaters, einem Lungenarzt im Schweizer Tuberkulose-Kurort Davos. Sein Elternhaus, die 1926 von Rudolf Gaberel erbaute Villa Burckhardt zeigt, wie Ärzte und Architekten gemeinsam Neues wagten und zu Wegbereitern wurden für etwas, das wir heute "die Moderne" nennen. Jürg Grassl nimmt uns mit zu Lucius Burckhardts Wurzeln …

10:45–11:15 Kaffee

11:15 Henriette Lutz / Joana Teixeira Pinho
Die Künstlerin Annemarie Burckhardt

Der Vortrag gibt einen Überblick über das künstlerische Schaffen von Annemarie Burckhardt. Es wird der Intention und der Wirkung ihrer künstlerischen Arbeiten nachgegangen. Der Vortrag zeigt künstlerische Arbeiten, von denen viele in Vergessenheit geraten oder weitestgehend unbekannt sind. Annemarie Burckhardt machte sich das Sticken als vermeintlich typisch "weibliche" Kunst zu eigen und findet hierin eigene, politische und stehts humorvolle Ausdrucksformen. Der Vortrag wird der Frage nachgehen, wie sich die künstlerische Tätigkeit von Annemarie Burckhardt aus feministischer Perspektive deuten lässt.

12:00 Phillipe Koch
Lucius Burckhardts Soziologie des Weiterbauens

Lucius Burckhardt hat sich ab den 1960ern vertieft mit soziologischen Problemstellungen des Bauens und der Architektur auseinandergesetzt. Seine Überlegungen hat er nie in einer Monographie auf den Punkt gebracht, sondern sie tauchen verstreut in Glossen, Artikeln, Interviews etc. auf. In meinem Beitrag rekonstruiere ich Burckhardts Soziologie des Weiterbauens ausgehend von seiner publizistischen Tätigkeit in der Zeit als Chefredaktor der Architekturzeitschrift Werk (1962–72). Burckhardt hat die gebaute Umwelt und deren Transformation immer als Medium des Sozialen verstanden und hat sich dabei gegen ein damals geläufiges marxistisches Verständnis gewendet, das in der Architektur eine reine ideologische Repräsentationsfunktion des kapitalistischen Systems vermutet hat. Burckhardts relationaler Zugang hingegen ist differenzierter und entdeckt im Weiterbauen auch emanzipatorisches Potenzial. Der Beitrag schliesst mit Überlegungen, ob und wie Burckhardts Soziologie des Weiterbauens für aktuelle Herausforderungen fruchtbar gemacht werden könnte.

13–14 Mittag

14:00 Reto Bürgin
Vor Ort sieht die Welt ganz anders aus
als am Schreibtisch. – Ach ja?

Das Werk von Lucius Burckhardt ist facettenreich und konsistent zugleich. Von der Planungskritik über das unsichtbare Design bis hin zur Spaziergangswissenschaft, Burckhardt versuchte Prozesse zu durchleuchten und kritisch zu hinterfragen. Mit einer systemischen Sichtweise gelingt es ihm Unsichtbares sichtbar und erst verhandelbar zu machen. Einerseits zieht der Vortrag theoretische Parallelen zwischen Designkritik und der Akteur-Netzwerk-Theorie. Andererseits gibt er Einblicke in die Spaziergangswissenschaft in der Lehrpraxis, wobei Unsichtbares abseits vom Schreibtisch sichtbar wird.

15:00 Anne Groß
Stadtplanung und Demokratie [...] und die Aufgaben unserer Generation

Der Vortrag befasst sich mit Anne’s Lesart der Spaziergangswissenschaft und wie sich aus dem einstigen Promotionsvorhaben am Tokyo Institute of Technology eine eigene Praxis und zusehends eine Lebensform entwickelt. Anne möchte mit ihrer Arbeit weg von spaziergangsbezogenen Beobachtungen hin zu der Frage, wie sie innerhalb ihrer fachlichen Möglichkeiten die Wahrnehmung der alltäglichen Umwelt schärfen und konsolidierte Konstrukte freilegen kann. Dabei betont sie die Bedeutung von Demokratie in der Stadtplanung und stellt die Aufgaben unserer Generation in den Fokus.

16:00–16:30 Kaffee

16:30 Günther Vogt / Thomas Kissling
gehen, schauen, sehen – Archive und Spaziergänge in der aktuellen Lehre und Landschaftsarchitekturpraxis – Versuch einer dialogischen Annäherung

Im Winter 2022 ist die persönliche Bibliothek von Lucius und Annemarie Burckhardt aus dem Zwischenlager der Universitätsbibliothek Basel in das case studio VOGT in Zürich transferiert worden. Zusammen mit der privaten Diasammlung, welche 34.000 Bilder umfasst, wurde das Archiv der Öffentlichkeit zu Forschungs- und Lehrzwecken zugänglich gemacht. Ein erstes Projekt, das in enger Beziehung mit der Bibliothek steht, erscheint im Frühjahr 2023. Die "Anthologie Landschaft" ist ein Buchprojekt, das Lucius 1986 während seiner Tätigkeit an der Gesamthochschule/Universität Kassel bereits weitgehend entwickelt hat. Die Publikation, welches eine umfassende Textsammlung entlang von neun landschaftlichen Topoi versammelt, ist nie erschienen und wird rund 40 Jahre später in erweiterter und kontextualisierter Form verlegt. Bibliothek und Buch stellen indes nur zwei Möglichkeiten dar, sich dem Werk Lucius Burckhardt zu nähern und für Lehre, Forschung und Praxis produktiv zu erschliessen. Der Input nähert sich in einem dialogischen Format diesen Zugängen.

Ab 18:00 Apéro / Buffet im Foyer der Kunsthochschule
Mit Stulle und Gut! http://www.stulleundgut.de/

Während der gesamten Tagung ist für Verpflegung gesorgt, der Tag endet mit einem Buffet im Foyer der Kunsthochschule. Der Eintritt ist frei!

Afterparty: PERLE Bar im Hugenottenhaus, Friedrichsstr. 25, Kassel
https://www.perle-kassel.de/
https://hugenottenhaus.com/

Sonntag, den 18. juni 2023

11:00 Bertram Weisshaar
Audiowalk: Die Fahrt nach Tahiti
Treff und Startpunkt: Haltestelle „Westfriedhof” Bus-Linie 24.
Anfahrt mit Bus Linie 11 z. B. ab Bahnhof Wilhelmshöhe 10:46 Uhr in Richtung DEZ-Einkaufszentrum, Fahrtdauer 12 Min.

Lucius Burckhardt rekonstruierte 1987 zusammen mit der student­ischen Projektgruppe Spaziergangs­wissen­schaft die "Fahrt nach Tahiti" durch das Naturschutzgebiet Dönche bei Kassel: Text­aus­züge aus Georg Forster’s "Reise um die Welt" wurden an ausgesuchten Orten gelesen – und Forster’s Beschreibungen der paradiesischen Insel Tahiti passten überraschend auch zu dieser Landschaft eines ehemaligen Truppenübungsgeländes. Anlässlich des dreißigsten Jahrestages (2017) des "Ur-Spaziergangs" der Spazier­gangswissenschaft rekonstruiert dieser Audio Walk das "action teaching" von Burckhardt: Die selben Texte vom selben Schauspieler gesprochen sind an den selben Orten erneut zu hören. Zusätzliche Hörstationen ergänzen Hinweise zur Aktualisierung der Frage "Warum ist Landschaft schön?". Der Audio Walk wurde von Bertram Weisshaar realisiert, und er wird diesen gemeinsamen Spaziergang im Rahmen der Burckhardt-Convention durch die Dönche begleiten.

Prof. Martin Schmitz mit Sabine Boger, Julia Bruinier, Philipp Glowacki, Johannes Kastner, Zhuo Ma, Gernot Mählmann, Viola Sommerfeld, He Wang.

Die Vortragenden:

Reto Bürgin ist Geograph/Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundesamt für Kultur (Baukultur). Seit rund zehn Jahren beschäftigt er sich enthusiastisch mit dem Werk von Lucius Burckhardt.

Jürg Grassl *1982, ist in Davos aufgewachsen, er diplomierte an der ETH in Zürich als Architekt, seine HausBauWerkStadt beschäftigt das Weiterbauen am historischen Baubestand, mit dem Forum Bau+Kultur Davos erforscht und vermittelt er die Baugeschichte seiner faszinierenden Heimatstadt.

Anne Groß ist Architektin und Filmemacherin aus Berlin mit Sitz in Tokio. Sie ist Mitbegründerin von Studio GROSS – einem experimentellen Ausstellungsraum und Büro für Revitalisierung. Als Reaktion auf den wachsenden Leerstand in der Japanischen Hauptstadt, fokussiert sich ihre architektonische Praxis auf Renovierungsarbeiten. Ihre Forschung am Tokyo Institute of Technology ist eng mit dem Schreiben von Lucius Burckhardt verbunden und konzentriert sich auf die Stärkung von Nachbarschaft. Filmische Arbeiten produzierte sie u.a. für das Canadian Centre for Architecture oder das S AM in Basel. Anne absolvierte das europäische Reisestudium Architektur.Studium.Generale, das acht Städte im interkulturellen Dialog und mit Methodenvielfalt verband.

Henriette Lutz, Architektin TUM SIA 1988, studierte Architektur an der Technischen Universität München. Seit 2017 ist sie als selbstständige Architektin in Theorie und Praxis in Zürich tätig. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre ist sie seit 2018 an der Berner Fachhochschule tätig. Henriette Lutz ist auch Teil des Vorstandes und aktuell Co-Präsidentin von créatrices.ch – Frauen gestalten die Schweiz. Aktuell absolviert sie an der ETH Zürich den MAS in Geschichte und Theorie der Architektur. Seit 2021 beschäftigt sich Henriette Lutz leidenschaftlich mit Spaziergängen in Praxis, Forschung und Lehre und ist Co-Gründerin von Research Walkers.

Thomas Kissling, *1980, studierte nach seiner Ausbildung zum Innenausbauzeichner Architektur an der Eidgenössisch Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Zwischen 2010 und 2021 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Oberassistent an der Professur von Günther Vogt (ETH Zürich). Seit 2021 arbeitet Thomas Kissling für Vogt Landschaftsarchitekten und steht den vier Standorten Zürich, London, Berlin und Paris als Co-Bürogesamtleiter vor.

Philippe Koch, Prof. Dr., *1977, 1999–2005 Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie an den Universitäten Bern und Bordeaux. Doktorat (2005–2009) an der Universität Zürich zur Governance und Demokratie in Schweizer Agglomerationen. Danach Anstellungen bei der Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt, als Postdoc am Zentrum für Demokratie Aarau der Universität Zürich und als Geschäftsleiter bei der verkehrspolitischen NGO umverkehR. Seit 2016 Dozent mit Schwerpunkt Stadtpolitik und urbane Prozesse am Institut Urban Landscape der ZHAW. Publikationen zu städtischen Alltagspolitiken, Demokratie im Kontext der Urbanisierung, Wohnpolitik und Genossenschaften und über Burckhardts Zeit als Werk-Redaktor (1962–72).

Joana Teixeira Pinho, Architektin MSc IST UTL SIA 1981, arbeitet als Architektin in der Schweiz und in Portugal. Parallel zu ihrer Praxis engagiert sie sich für Projekte mit kulturellen und politischen Zielen. Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Lehre für Architektur an der Berner Fachhochschule. Sie ist Co-Gründerin des kollaborativen Studios Pinhal, nachdem sie seit 2011 in Schweizer Architekturbüros gearbeitet hat. Bis 2010 arbeitete sie als Stadt- und Regionalplanerin in Porto und Lissabon, bevor sie ihr Architekturstudium an der Technischen Universität Lissabon abschloss. Seit 2021 beschäftigt sich Joana Teixeira Pinho leidenschaftlich mit Spaziergängen in Praxis, Forschung und Lehre und ist Co-Gründerin von Research Walkers.

Markus Ritter, *1954 in Basel, ist Biologe. Er gründete 1986 gemeinsam mit Lucius und Annemarie Burckhardt die Partei „Grüne Alterna- tive Basel“. Von 1988 bis 2001 war er im Kantonsparlament, zuletzt als dessen Präsident. Stabsmitarbeiter im Regierungspräsidium des Kantons Basel-Stadt 2006–2018. Seither im Ruhestand. Projekte, Seminare und Artikel mit Lucius Burckhardt seit 1987 zu den Themen Landschaft, Natur und Umweltfragen. Publikationen zu umwelt- und naturschutzgeschichtlichen, ornithologischen und botanischen Themen in Büchern und Fachzeitschriften. Seit 2012 befasst er sich mit der Aufarbeitung des Nachlasses von Lucius und Annemarie Burckhardt, der in der Universitätsbibliothek Basel archiviert wird.

Martin Schmitz, *1956 in Hamm/Westfalen. Studium im Fachbereich Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung bei Lucius Burckhardt an der Universität Kassel. Autor eines Buches „Über die Kultur der Imbißbude“, 1983 Kurator des Filmprogramms der 8. documenta Kassel 1987, der Tagung über „Dilettantismus“, Görlitz 1995, der Ausstellung „Die Tödliche Doris – Kunst“, Berlin 1999, des internationalen Kongresses „Spaziergangswissenschaft: Sehen, erkennen und planen“, Frankfurt 2008. Seit 1989 Verleger von Büchern zum Thema Architektur, Kunst, Film, Design, Musik und Literatur. Seit 2013 Professor an der Kunsthochschule in Kassel.

Günther Vogt, *1957 ist Landschaftsarchitekt und Inhaber von Vogt Landschaftsarchitekten mit Büros in Zürich, Berlin, London und Paris. Zwischen 2005 und 2022 war er Professor am Departement Architektur an der ETH Zürich. 2010 initiierte er mit dem case studio Vogt eine Plattform für Forschung und interdisziplinäre Projekte, die an der Schnittstelle zwischen Akademie und Praxis operiert.

Bertram Weisshaar, *1962, freiberuflicher Spaziergangsforscher. Nach einer Lehre zum Fotografen Studium der Landschaftsplanung an der Universität Kassel. Von 1998−2000 alias - Atelier für Spaziergangsforschung in Dessau, 2001 Gründung des Atelier Latent in Leipzig. 2000 Melitta Förderpreis Bildende Kunst, 2005 Förderung durch Kulturwerk der VG Bildkunst, 2006 Kulturpreis Schwarzwald-Baar. zahlreiche inszenierte Spaziergänge, Berichte und Portraits in TV, Radio und Presse. Herausgeber von Spaziergangswissenschaft in Praxis. Formate in Fortbewegung, Berlin 2013.